Gegen das Vergessen
Erinnerungskultur in Spandau
Erinnerung ist Verantwortung. Gerade in Zeiten, in denen rechte Kräfte Geschichte verdrehen und Verbechen relativieren, bleibt es unsere Aufgabe, an die Opfer des Nationalsozialismus zu erinnern und für eine offene, solidarische Gesellschaft einzutreten.
Die Fraktion Die Linke in der BVV Spandau engagiert sich seit Jahren für eine lebendige Erinnerungskultur. Hier dokumentieren wir unsere Intiativen, Veranstaltungen und Beiträge zu diesem Thema.
Den Spandauer Opfern ein Gesicht geben
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Rede von Klaus Kleemann - Hakenfelder Bürger gegen das Vergessen
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Anwesende,
ich möchte zunächst der Fraktion „DIE LINKE“ in der Spandauer Bezirksverordnetenversammlung meinen aufrichtigen Dank aussprechen. Es ist ihrer Initiative und ihrem Engagement zu verdanken, dass wir heute hier zusammenkommen, um den Opfern des Holocaust zu gedenken. Nachdem der Bezirk Spandau bedauerlicherweise beschlossen hatte, keine eigene Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz durchzuführen, hat die Fraktion „DIE LINKE“ die Verantwortung übernommen und diese Gedenkveranstaltung selbst organisiert. Ihre Entscheidung, das Gedenken nicht der Beliebigkeit zu überlassen, sondern aktiv zu gestalten, verdient höchste Anerkennung.
Diese Einladung, hier zu sprechen, gibt uns die Möglichkeit, gemeinsam innezuhalten und uns der Bedeutung dieses Tages bewusst zu werden.
Warum wir heute hier sind
80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz-Birkenau stehen wir hier nicht nur, um zu erinnern, sondern um die Mahnung, die von diesem Ort ausgeht, in unserer Gegenwart wach zu halten.
Wir haben uns heute hier versammelt, um den 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 zu begehen. Dieser Tag ist nicht nur ein Gedenktag, sondern ein weltweites Mahnmal gegen das Vergessen. Auschwitz steht wie kaum ein anderer Ort für das unsagbare Leid und die unermessliche Grausamkeit des nationalsozialistischen Regimes. Es erinnert uns an die Millionen Menschen, die entrechtet, gequält und ermordet wurden – darunter auch viele aus unserer unmittelbaren Nachbarschaft hier in Spandau.
Die jüdische Gemeinde Spandaus, einst ein lebendiger und integraler Teil des Stadtlebens, wurde durch die nationalsozialistische Verfolgung systematisch ausgelöscht. Mit dem Boykott jüdischer Geschäfte 1933 begann auch hier die brutale Ausgrenzung und Verfolgung. Die Zerstörung der Synagoge am Lindenufer in der Reichspogromnacht 1938 und die Deportation der jüdischen Bevölkerung waren nur der Anfang einer menschenverachtenden Politik, die viele Spandauerinnen und Spandauer schließlich in die Vernichtungslager führte – nach Auschwitz, Treblinka, Sobibor und andere Orte des Grauens.
Wir sind heute hier, um dieser Menschen zu gedenken, um ihre Namen, ihre Geschichten und ihr Schicksal nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Wir sind hier, um ein Zeichen zu setzen: gegen Gleichgültigkeit, gegen das Fortbestehen rechter Ideologien, gegen Antisemitismus und Rassismus.
Doch wir sind heute auch hier, weil das dringend notwendige bezirkliche Gedenken, das ein klares Zeichen für das „Nie wieder!“ setzen könnte, von der schwarz-grünen Zählgemeinschaft und der SPD in der Spandauer Bezirksverordnetenversammlung abgelehnt wurde. Ein Antrag der Linksfraktion, der ein jährliches bezirkliches Gedenken zum Tag der Opfer des Nationalsozialismus forderte, fand keine Mehrheit. Stattdessen wurde auf kirchliche Gedenkveranstaltungen verwiesen – ein Verweis, der der Bedeutung einer aktiven und eigenständigen bezirklichen Erinnerungskultur nicht gerecht wird.
Gedenken ist nicht nur eine Aufgabe des Bundes oder der Kirchen – es beginnt in unseren Bezirken, in unseren Städten und in unseren Gemeinschaften. Es ist unser aller Verantwortung, eine aktive Erinnerungskultur zu leben.
Wo stehen wir heute?
Liebe Anwesende,
wenn wir uns heute an die Befreiung von Auschwitz erinnern, müssen wir uns auch fragen: Wo stehen wir 80 Jahre später? Was ist aus den Hoffnungen geworden, die nach 1945 aufkeimten? Die Hoffnung, dass die Menschheit aus den Schrecken des Nationalsozialismus gelernt hat, dass Auschwitz ein Wendepunkt wäre, nach dem so etwas nie wieder geschehen könnte?
Die Antwort darauf ist ernüchternd. Wir wissen um die Versäumnisse der Nachkriegszeit – um das Fortbestehen rechter Netzwerke, das Schweigen über die Verbrechen, das Scheitern der Entnazifizierung. Doch auch heute sind diese Hoffnungen bedroht. Wir erleben, wie Antisemitismus und Rassismus wieder an die Oberfläche treten, wie Synagogen angegriffen, Menschen bedroht und Parolen geschrien werden, die wir längst überwunden glaubten.
Rechtsextreme sitzen in unseren Parlamenten. Ihre Ideologien dringen wieder in die Mitte der Gesellschaft vor. Und so stellen wir uns die drängende Frage: Wiederholt sich die Geschichte? Primo Levi, ein Überlebender von Auschwitz, hat uns eindringlich gewarnt: „Es ist geschehen, folglich kann es wieder geschehen.“
Diese Worte sind kein leeres Zitat. Sie sind eine Mahnung – eine Warnung, die wir nicht ignorieren dürfen. Es liegt an uns, aus dem Erinnern konkrete Verantwortung abzuleiten. Erinnern bedeutet, handeln zu müssen. Es bedeutet, für unsere Demokratie einzutreten, für Menschlichkeit, für Respekt und für die Verteidigung der Menschenrechte – heute, jetzt und immer.
Liebe Anwesende,
die Geschichten, die wir heute gehört haben, die Gesichter, die wir vor Augen hatten, und die Namen, die wir genannt haben, sind keine bloßen Erinnerungen. Sie sind Mahnungen – Mahnungen, dass die Verantwortung nicht mit dem Erinnern endet. Sie fordern uns auf, in der Gegenwart zu handeln und die Zukunft aktiv zu gestalten.
Lasst uns gemeinsam wachsam bleiben und dafür sorgen, dass die Schrecken der Vergangenheit niemals wiederkehren. Jeder von uns kann dazu beitragen – durch Haltung, durch Engagement und durch die tägliche Verteidigung von Demokratie und Menschenwürde.
Wir müssen entschlossen Zeichen setzen: gegen Gleichgültigkeit und Vergessen, gegen die Verharmlosung deutscher Schuld, gegen das Erstarken rechter Ideologien, gegen Rassismus und Antisemitismus.
„Nie wieder“ ist nicht nur ein Rückblick auf die Vergangenheit – es ist ein Auftrag, für eine Welt zu kämpfen, in der Menschenwürde und Gerechtigkeit unantastbar bleiben.
Mit den Worten von Bertolt Brecht: „Der Schoß, aus dem das gekrochen ist, ist fruchtbar noch.“ Völkische Ideologien, die Menschen in „richtige“ und „falsche“ Kategorien einteilen, und die Verharmlosung der Verbrechen der Vergangenheit dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz finden.
Es ist an uns, entschieden dagegen aufzutreten, wachsam zu bleiben und unsere Demokratie zu schützen. Haltung zu zeigen ist unsere Aufgabe – heute, morgen und immer.
Ich danke Ihnen, dass Sie hier sind und damit zeigen, wie lebendig das Erinnern ist. Gemeinsam können wir für eine Welt einstehen, in der Würde und Gerechtigkeit unantastbar bleiben.
Vielen Dank.